Über den Sinn regulatorischer Leitplanken.
Nachhaltigkeit braucht Orientierung.
mit Julian Göbel am 17. November 2025
Eingeladen von
Olivier Neidhart
Julian Göbel
Geschäftsführer und Leiter Customer Success
Envoria GmbH
Arbeitsschwerpunkte
Berufserfahrung
Mehr als 10 Jahre Erfahrung in der prozessualen und inhaltlichen Beratung von Unternehmen in finanziellen und nicht-finanziellen Bereichen (z.B. EU Taxonomie, CSRD). Umfassende Expertise in der technischen Implementierung von SaaS System und deren effiziente Nutzung.
Olivier Neidhart Was verbindest du mit dem Begriff Regulatorik?
Julian Göbel Regulatorik ist gerade in der aktuellen Zeit ein etwas negativ behafteter Begriff, der mit einer gewissen Einschränkung verbunden wird. Tatsächlich gehe ich aber einen Schritt zurück und stelle mir immer die Frage, warum es eigentlich Regulatorik gibt? Regulatorik macht dann Sinn, weil die Selbstmechanismen der Märkte in realita nicht funktionieren. Ein Beispiel: Es gibt das Klimaschutzabkommen, aus dem diverse Staaten mittlerweile ausgetreten sind. Das heißt, wir brauchen ein Rahmenwerk, an dem sich Unternehmen orientieren können. Auch wir als Gesellschaft, um beispielsweise in unserem Alltag nachhaltiger zu leben. Ohne regulatorische Leitplanken würde es diese Form der Orientierung nicht oder nur stark zeitlich verzögert geben.
Olivier Neidhart Wie stehst du zu dem EU-Omnibus?
Julian Göbel Kritisch, denn damit geht eine gewisse Aufweichung der Schwellwerte für die Anwender einher. Zudem fehlen mir Klarheit, Verlässlichkeit und eine transparente Kommunikation, die bereits im Vorfeld ansetzen müsste. Für mich zeigt die gesamte Diskussion, die wir gerade sehen, dass der Prozess auf EU-Ebene nicht richtig strukturiert worden ist und diverse prozessuale Schwächen aufweist. Auf Basis einer solche Abstimmungskultur verlieren wir auch als Europäische Union die Glaubwürdigkeit hinsichtlich der regulatorischen Anforderungen. Zumindest sehe ich die Gefahr aktuell, von einer Vorreiterrolle in eine Redundanz zu kommen und somit auch global bei nachhaltigen Entwicklungen hinterherzuhinken, ja, vielleicht sogar den Anschluss zu verlieren. Nachhaltigkeit und die damit verbundenen regulatorischen Maßnahmen gewinnen global immer mehr an Bedeutung – unabhängig politischer Debatten. Wer dabei ist, hat die Nase vorn – wirtschaftlich und übrigens auch technologisch.
Olivier Neidhart Welche Rolle kann Storytelling neben Kennzahlen im Reporting spielen?
Julian Göbel Eine sehr große Rolle. Schauen wir uns als Beispiel ein Rahmenwerk, wie z.B. ein ESRS an, sprechen wir an vielen Stellen über große Mengen von Datenpunkten, die gesammelt werden müssen. Hinter diesen Daten stecken viele spannende Informationen, die – gemeinsam mit den strategischen Zielen – in einer starken Story aufgehen sollten. Eine glaubwürdige Geschichte, die kommuniziert, wie das Unternehmen Nachhaltigkeit lebt aber auch zielführend steuert. Reine Kennzahlen, auch wenn diese die regulatorischen Anforderungen erst mal erfüllen, sind ohne Kontext schwer verständlich. Die Stakeholder von Unternehmen schauen in einem ESG-Bericht nicht nur auf die Daten, sondern auch auf die kommunikative Storyline, um die Daten richtig einordnen zu können.
Olivier Neidhart Wie sieht der ESG-Report der Zukunft aus?
Julian Göbel Neben den regulatorischen Anforderungen, die sich zukünftig weiter ordnen werden, wird vor allem das Thema Tagging nach XBRL eine wichtige Rolle spielen und das Berichtsformat zukünftig prägen. Durch diese Komponente werden die veröffentlichten Berichte in Bezug auf Aufbau und Inhalt vergleichbarer. Ein entscheidender Vorteil, um z.B. auch Greenwasching-Komponenten stärker zu vermeiden. Ich persönlich denke, dass zukünftig immer mehr Stakeholder Berichte online anschauen werden – und hier neben dem Online-Bericht auch sonstige Kommunikationsbausteine auf Corporate-Ebene im Netz eine Rolle spielen werden. Wir werden eine Parallelisierung von Online-Reports und anderen Online-Formaten sehen, mit denen Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsbestrebungen nach außen kommunizieren.
Olivier Neidhart Wie entwickelt sich das gesamte ESG-Reporting weiter?
Julian Göbel Bei dieser Frage geht es für mich primär um die zukünftige Gestaltung der Prozesse und darum, wie die Rolle des Nachhaltigkeitsmanagers in Zukunft aussieht? Momentan ist er häufig limitiert auf die Berichterstattung, auf das Sammeln und Einordnen von Daten über Exel und andere Tools. Zudem nutzt er immer häufiger voll automatisierte Prozesslösungen, z.B. über digitale Plattformen. Doch wenn er nur auf die Datenverarbeitung reduziert wird, kann er in seiner an sich spannenden Rolle eines Nachhaltigkeitsmanagers eigentlich gar nicht aufgehen. Dabei leiten sich aus den Daten oftmals zielführende Aktionen und Projekte ab, die Potenzial für Storytelling bieten. Zudem wird sich der Nachhaltigkeitsmanager zukünftig vermehrt mit der Integration von Risiko- und Strategiemanagement beschäftigen. Ich sehe in der Zukunft also eine deutliche Öffnung der Rolle des Nachhaltigkeitsmanagers hin zu einem Nachhaltigkeitsstrategiemanager, verbunden mit digitalen Plattformlösungen. Lieber Julian, ich danke dir für das inspirierende Gespräch.